Äußerst geringes Risiko, große Chance: Die Bandscheiben-OP
Wir haben mit Andreas Thönneßen, dem Sektionsleiter der Wirbelsäulenchirurgie im Krankenhaus Jülich, über die operativen Möglichkeiten bei Bandscheibenvorfällen und anderen degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen gesprochen.
Herr Thönneßen, Rückenschmerzen kennt fast jeder von uns. Rund 70 Prozent der Erwachsenen leiden hierzulande mindestens einmal im Jahr unter Rückenbeschwerden, bei etwa jedem Vierten werden die Probleme chronisch. Was sind die häufigsten Ursachen?
Andreas Thönneßen: Tatsächlich gibt es nicht die eine oder die wenigen Ursachen, die in der Haupt-
sache für Probleme mit dem Rücken verantwortlich sind. Mit gerade einmal 4 Prozent der Fälle ist der Bandscheibenverschleiß oder -vorfall der häufigste spezifische Grund für Rückenschmerzen. Noch seltener sind es die Spinalkanalstenose oder das Wirbelgleiten. In vier von fünf Fällen sind Rückenschmerzen unspezifisch – sie lassen sich also nicht eindeutig auf krankhafte körperliche Ursachen zurückführen. Die gute Nachricht ist: Rückenbeschwerden verschwinden sehr häufig innerhalb der ersten sechs Wochen ganz von allein.
Leider aber nicht immer. Dann kommen Sie ins Spiel.
Thönneßen: Ja, es gibt dann doch viele Patientinnen und Patienten, die ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Nicht umsonst sprechen wir ja bei Rückenschmerzen von einem Volksleiden, das der dritthäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland ist. Oft helfen konservative Therapien wie Krankengymnastik oder das Spritzen von entzündungshemmenden und schmerzstillenden Mitteln, wenn die Beschwerden schlimmer sind. Das können wir aber nicht unendlich oft wiederholen, weil mit jeder Infiltration auch die Gefahr einer Infektion verbunden ist. Halten die Beschwerden an, kann nach gründlicher Abwägung eine OP bei einem Bandscheibenvorfall, einer Verengung des Spinalkanals oder einer anderen klar definierten Ursache die richtige Option sein.
Bei vielen Menschen löst die Vorstellung, dass an ihrer Wirbelsäule – ganz nah am Rückenmark – geschnitten wird, große Sorgen aus. Sie sehen sich beim Gedanken an eine Rücken-OP schon im Rollstuhl.
Thönneßen: Das ist menschlich, und ich kann das gut verstehen. Wir nehmen diese Ängste auch sehr ernst und informieren jede Patientin und jeden Patienten daher ganz umfassend und individuell. Es ist gut zu wissen, dass das Risiko von Behandlungsfehlern mit schlimmen Folgen äußerst gering ist. Und es ist wichtig für die Patientinnen und Patienten, dass wir in Jülich auch nur dann operieren, wenn alle anderen Behandlungen nicht mehr helfen.
Wie hoch sind die Chancen, dass Schmerzen und Bewegungseinschränkungen nach einer Operation der Vergangenheit angehören?
Thönneßen: Sehr gut! Bandscheiben-OPs führen zum Beispiel in etwa 90 Prozent der Fälle zu einer deutlichen Verbesserung. Ähnlich gut ist die Quote bei der Spinalkanalstenose, die auch Schaufensterkrankheit genannt wird, weil sich die Betroffenen in der Stadt offenbar bei jedem Geschäft für die Auslage interessieren. In Wahrheit brauchen Sie aber die Pausen, bevor sie weitergehen können. Wenn wir uns Frau Ermer anschauen, die Ihnen ihre Krankengeschichte erzählt hat, dann sieht man, dass auch bei älteren Menschen noch die Möglichkeit besteht, mit einem Eingriff viel zu erreichen. Wir wägen immer intensiv ab, ob eine Operation erfolgversprechend ist. Wenn wir dazu raten, dann sind die Chancen auch sehr gut, dass es den Patientinnen und Patienten danach wesentlich besser geht.