Ethische Fragen der Medizin
Frau B. ist 86 Jahre alt. Sie leidet unter einer fortschreitenden Demenz und befindet sich aufgrund von weiteren schweren Erkrankungen in ihrer letzten Lebensphase. Da sie sich seit einigen Tagen gegen die Nahrungsaufnahme wehrt und immer schwächer wird, möchte der Stationsarzt eine Ernährungssonde anlegen. Der Sohn hat dem Eingriff als gesetzlicher Betreuer zugestimmt. Die Tochter der Patientin plädiert dafür, die Mutter „in Frieden sterben zu lassen". Auch im Ärzte- und Pflegeteam haben einige Zweifel, ob die Anlage einer Sonde richtig ist, während andere nicht verantworten möchten, die Patientin ohne Sonde verhungern und verdursten zu lassen. Extrem schwierige Situationen wie diese sind Fälle für eine Ethikkommission im Krankenhaus.
Konsens als zentraler Punkt
„Unsere tägliche medizinische Praxis ist es, klinische Zustände der Patienten zu bewerten, erwünschte und erreichbare Behandlungsziele festzulegen und letztlich die nicht zielführenden von den zielführenden Maßnahmen abzugrenzen", sagt Dr. Thomas Stolzenburg. Der Konsens, insbesondere mit Patienten und Angehörigen, sei ein ganz zentraler Punkt bei der Beantwortung dieser herausfordernden Fragen, berichtet der Leitende Arzt der Palliativmedizin im Krankenhaus Jülich. In aller Regel lasse sich das in den Behandlungsteams unter Einbezug der Patienten und Angehörigen gut klären. In seltenen Fällen gelinge eine im Sinne des Patienten notwendige Klärung aber nicht. Für solche Situationen haben sich ethische Fallbesprechungen im Rahmen einer Ethikkommission etabliert und bewährt.
Dr. Stolzenburg ist Vorsitzender der Kommission im Krankenhaus Jülich. „Ich bin sehr froh darüber, dass wir in Jülich ein sehr gut besetztes und breit aufgestelltes Gremium haben, dem Ärzte und Pflegende aus unterschiedlichen Fachabteilungen angehören, aber auch eine Vertreterin des Sozialdienstes und unser Krankenhausseelsorger. Denn wir sprechen hier nicht von abstrakten Fragen, sondern von solchen, die unmittelbare Auswirkungen auf das weitere Schicksal der Patienten haben", erklärt der erfahrene Palliativarzt. Turnusmäßig tagt die Kommission alle drei Monate. In diesen Sitzungen wird derzeit intensiv an einem ethischen Leitbild gearbeitet. Regelmäßig sind auch Gäste willkommen, die dabei hilfreich sein können, den Blick zu erweitern. So gab es in der jüngsten Sitzung einen sehr interessanten Austausch mit einem Imam.
Kollektiv getragene Lösungen
‚„Wenn es darum geht, in akuten Fällen zu beraten und zu entscheiden, dann ist der erste Schritt, die Natur des Problems durch Einbezug aller beteiligten Parteien – ohne Wertung und Beurteilung – zu erkennen und zu beschreiben", erklärt Dr. Stolzenburg. Je nach Art der Problemstellung werden dann auch weitere „Fachleute" aus unterschiedlichen Bereichen oder aus dem Umfeld der Patienten hinzugezogen. So soll erreicht werden, dass mögliche Lösungsansätze und Bewertungen breit erfasst werden. In einem konstruktiven und strukturierten Dialog diskutiert die Ethikkommission alle vorgebrachten Einschätzungen. „So gut wie immer findet sich während dieser Diskussion dann eine kollektiv getragene Lösung", berichtet der Kommissionsvorsitzende. Glücklicherweise bleibe so die Hinzuziehung weiterer Instanzen bis hin zum Gericht als allerletzte Möglichkeit der Problemlösung eine Rarität.